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Botrytis ‑ Biologie des Erregers und Konsequenzen für die Bekämpfung

 

Dr. Walter K. Kast und Hanns‑Christoph Schiefer

Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg

Email: Walter.Kast@lvwo.bwl.de

 

 

Spritztermine gegen Botrytis ‑ quo vadis?

 

Für viele Winzer ist es unverständlich, dass bei Botrytis späte Behandlungen kurz vor Eintritt der Wartezeit und damit kurz vor dem eigentlichen Auftreten der Fäulnissymptome oft weniger wirksam sind als frühere Behandlungen. Versuchsergebnisse zeigen zwar, dass auch diese Spätbehandlungen wirksam sind, in vielen Fällen sind aber die Behandlungen bereits kurz vor Traubenschluss wirksamer. Spritzungen in die Blüte sind oft genauso effektiv wie die Spätbehandlungen, bei allerdings deutlich geringerem Aufwand an Pflanzenschutzmitteln und entscheidend geringerer Rückstandsbelastung. Offensichtlich laufen bereits in sehr frühen Stadien der Beerenentwicklung wichtige Prozesse ab. Deutliche Hinweise darauf gab auch eine Analyse der langjährig gesammelten Daten der LVWO Weinsberg.

 

Langjährige Datensammlung gibt Hinweise

 

An der LVWO Weinsberg wurden seit 1950 sowohl Wetterdaten gesammelt als auch das Auftreten von Krankheiten und Schädlingen nach einem einheitlichen Raster aufgezeichnet. Mit diesen Daten lassen sich statistische Beziehungen (Korrelationen) errechnen, z. B. zwischen Niederschlägen, die ja bekanntlich das Auftreten von Botrytis fördern, und dem Sauerfäule-Befall. Erstaunlicherweise wurde kein Zusammenhang zwischen den aufgezeichneten Werten für Sauerfäule und den Niederschlagssummen der Monate September und Oktober gefunden, dem Zeitraum, in dem der Befall auftritt. Dagegen besteht eine signifikante Korrelation zwischen dem Auftreten von Sauerfäule und den Niederschlägen im Juni. Dies schließt zwar nicht aus, dass die Niederschläge in der Reifephase die Botrytisentwicklung fördern, das Verfahren der Bewertung ist vermutlich zu grob, um die Einflüsse zu erfassen. Die signifikante Korrelation zu den Juniwerten bedeutet jedoch, dass im frühen Stadium bereits Vorgänge mit besonders großer Bedeutung ablaufen; Vorgänge, die für die Entwicklung des Erregers von größerer Bedeutung sind als die Bedingungen im Herbst.

 

Biologie des Erregers

 

Der Pilz Botrytis cinerea ist kein Rebspezialist. Eher ist er spezialisiert auf den Befall reifender Früchte. Im Gegensatz zu Erregern wie Peronospora und Oidium wird der Botrytispilz von der Rebe normalerweise sehr gut abgewehrt. Zu Schäden kommt es hauptsächlich dann, wenn die natürlichen Abwehrbarrieren und aktiven Abwehrmaßnahmen außer Funktion gesetzt oder geschwächt sind. Deshalb haben kulturtechnische Maßnahmen, die die Belichtung und Belüftung der Traubenzone verbessern, einen entscheidenden Einfluss auf den Befall.

Verletzungen und absterbende Teile werden vom Botrytispilz sehr leicht besiedelt. Wenn er sich dort etabliert hat, verfügt er über mehr Energie und ist eher in der Lage, weitere Pflanzenteile anzugreifen, er hat sozusagen „den Fuß in der Türe“.

Verletzungen durch Hagel und Sauerwurmbefall sind Beispiele für das Durchbrechen des natürlichen Schutzes der Rebe. In trockenen Perioden vor Beginn des Weichwerdens der Beeren bildet die Rebe bei Verletzungen rasche neue Abwehrbarrieren, insbesondere aus Phenolen und Korkmaterial aus. Kritisch wird es aber ab dem Weichwerden der Beeren, da mit der Zuckereinlagerung der Botrytispilz begünstigt wird und gleichzeitig die Fähigkeit zu Abwehrmaßnahmen vollständig verloren geht.

 

Fähigkeit zur Latenz

 

Der Botrytispilz kann sich, wie erwähnt, sehr leicht abgestorbenes oder seneszentes (altes, allmählich absterbendes) pflanzliches Gewebe ansiedeln. Er versucht von dort ausgehend, auch vitale Teile anzugreifen, wird aber in der Regel durch die Rebe abgewehrt, wie in Abbildung 7 an der Verschorfung unterhalb des besiedelten Käppchens zu sehen ist. In Massen fallen solche seneszente Materialien während der Rebblüte an. Bei feuchter Witterung werden diese Blütenreste rasch von Botrytis besiedelt. Oft verbleiben diese Teile im Inneren der Trauben bis zur Reife. Der Botrytispilz kann auf den winzigen Pflanzenteilen nur wenige Sporen bilden. Er hat aber eine besondere Fähigkeit, ungünstige Perioden zu überdauern. Dazu bildet er ein widerstandsfähiges Dauermyzel, das inaktiv bleibt, bis bessere Bedingungen herrschen, und das relativ robust gegen äußere Einflüsse ist. Der Erreger bleibt am Leben, ist aber zunächst inaktiv, d. h., latent und wartet auf bessere Bedingungen, die meistens während der Reifephase eintreten. Insbesondere die an der Basis der Beere sitzenden Staubgefäße bleiben besonders häufig bis zur Reife im Innern der Trauben hängen. Typisch für die Auswirkungen latenter Infektionen ist die „von innen heraus“ beginnende Fäulnis. Die Rebblüte und die Wochen danach ist deshalb eine extrem wichtige Periode für die Botrytisentwicklung. Dies erklärt auch die eingangs erwähnte Korrelation der Sauerfäule mit den Juni-Niederschlägen, dem Zeitraum der Rebblüte.

 

Angriffswege direkt ‑ latent

 

Beim Botrytispilz kann man zwei Wege des Angriffs klar unterscheiden. Traubenbeeren kann der Botrytispilz angreifen, wenn die Abwehrfähigkeit der Beeren mit zunehmender Reife immer schwächer wird. Bei feuchtwarmer Witterung können Botrytis-Sporen auf der Beere auskeimen und diese durch das Ausschütten relativ großer Mengen an Enzymen angreifen. Es entwickeln sich kleine braune Flecken, die rasch größer werden. Diese Symptomatik ist insbesondere bei Müller-Thurgau-Trauben und in extrem masten Anlagen fest zu stellen. Die Schale hoch reifer Beeren wird teilweise so mürbe, dass bei optimaler Wasserversorgung in Regenperioden Risse entstehen und Beerensaft austritt. Sehr rasch besiedelt der Botrytispilz diese Risse. Gegen diese Angriffe über die Beerenschale richten sich die Spätanwendungen der Fungizide.

 

Sollte die Abwehr der Beeren durch Risse oder mechanische Schäden, z. B. Hagelschlag, zerstört sein, wirken Fungizide zwar noch, sie können allerdings das Besiedeln der Beeren durch andere Mikroorganismen z. B. Bakterien nicht unterdrücken. Es stellt sich dann die Frage, was die Weinqualität am wenigsten beeinträchtigt. Die Versuchsergebnisse der LVWO Weinsberg deuten darauf hin, dass die Weinqualität durch Fungizideinsatz gegen diesen Infektionsweg zumindest nicht verbessert wird.

 

Der zweite Angriffsweg geht von den latenten Infektionen aus. Dabei profitiert der Pilz vom für ihn günstigen Mikroklima im Innern der Trauben und von den bei kompakten Trauben auftretenden Spannungen, die gerade dort, wo der Erreger latent sitzt, an der Beerenansatzstelle, am größten sind. Bei lockeren Trauben lösen sich oft die betreffenden Beeren ab und fallen nicht weiter auf. Bei kompakten Trauben bildet sich meist von der Traubenmitte ausgehend ein Fäulnisnest. Zu Beginn des Befalls kann man deutlich erkennen, dass der Befall vom Beerenansatz ausging, weil dort der Pilz am weitesten entwickelt ist und dort schon sporuliert. Entscheidend für das Eintreten dieser zweiten Art von Befall ist zum einen das Vorkommen latenter Infektionen, zum anderen spielt aber auch die Kompaktheit der Trauben eine große Rolle. Diese hängt sehr stark von den Blühbedingungen, der Wasserversorgung sowie der Ertragsbelastung ab. Hohe Niederschläge nach der Blüte wie in den Jahren 2000 und 2002 sind deshalb besonders gefährlich, weil sie sowohl latente Infektionen als auch das Beerenwachstum fördern. Die eingangs erwähnte enge Korrelation der Niederschläge im Juni mit dem Auftreten von Sauerfäule lässt sich vermutlich auf die Kombination der Förderung des Beerenwachstums und latenten Infektionen erklären. Bei gezielter Bewässerung sollte dies tunlichst berücksichtigt werden. Ertragsentlastung, je früher desto mehr, fördert ebenfalls das Beerenwachstum, wobei der Ertrag in Relation zur Wüchsigkeit (Schnittholzmenge) gesehen werden muss. Die Problematik wird nach den vorliegenden Erfahrungen besonders krass, wenn der Traubenertrag weniger als das 4‑Fache der Schnittholzmenge beträgt. Insbesondere bei von Natur aus kompakten Sorten wie Riesling, Schwarzriesling und vielen Burgundersorten und ‑klonen, stehen deshalb Maßnahmen gegen die Kompaktheit und die Bekämpfung der latenten Infektionen im Vordergrund.

 

Spritzstrategien

 

Gegen die direkten Infektionen über die Beerenschale (Müller-Thurgau-Typ) wirken Fungizide dann am besten, wenn die Konzentration des Wirkstoffes auf den reifen Trauben noch möglichst hoch ist, d. h. bei möglichst später Anwendung bei Einhaltung der Wartezeit, in der Regel bei 30 ‑ 40° Oechsle. Je größer der Abstand zwischen Spritztermin und der Traubenreife ist, desto geringer ist die Wirksamkeit gegen diese Angriffsart. Gegen den Schwarzriesling-Infektionstyp, also gegen latente Infektionen, sind Fungizide am wirksamsten in der Phase Blüte bis kurz vor Traubenschluss. Schon theoretisch lässt sich ableiten, dass für beide Infektionstypen die Periode nach Traubenschluss bis zum Weichwerden der Beeren der ungünstigste Zeitraum liegt, da in dieser Periode keiner der beiden Infektionstypen optimal getroffen wird.

  Oberstes Ziel der Botrytisbekämpfung ist die Sicherung der Weinqualität. Aus dieser Sicht bringt eine Bekämpfung latenter Infektionen ausschließlich Vorteile. Etwas größere Vorsicht ist bei späten Anwendungen geboten. Größere Qualitätseinbußen als der Botrytisbefall verursachen andere Mikroorganismen, Schimmelpilze, Hefen und Bakterien, die in der Regel erst sekundär auf den von Botrytis zerstörten Beeren wachsen können, sich also mit zunehmendem Botrytisbefall verstärkt entwickeln. Ihr Auftreten kann im günstigen Fall durch das Verhindern des Botrytisbefalls mit erfasst werden. Sobald jedoch Risse in der Beerenhaut auftreten oder bei kompakten Trauben sich Beeren abdrücken, können sich diese Mikroorganismen auch ohne Botrytis an den verletzten Stellen entwickeln und den Weingeschmack massiv beeinflussen, obwohl die Trauben relativ gesund aussehen. In Ausbauversuchen der LVWO Weinsberg ergaben Spätanwendungen bei kompakten Trauben (Schwarzriesling, Riesling) keinen Qualitätsvorteil. Bei lockeren Trauben sind die Verhältnisse nach den Ergebnissen anderer Versuchsansteller wesentlich günstiger für späte Anwendungen. Am effektivsten ist langfristig im Überblick über alle Versuchsergebnisse der Einsatztermin kurz vor Traubenschluss. Es ist sinnvoll, die  Laubarbeiten so auszurichten, dass an diesem Termin eine optimale Applikation erfolgen kann. Bereits mit einer Anwendung sind im optimalen Fall Wirkungsgrade von > 60 % zu erzielen. Falls ein weiterer Einsatz noch für sinnvoll erachtet wird, ist zu überlegen, diesen im Zeitraum abgehende Blüte oder bei Reifebeginn anzusetzen. Ein wichtiges Kriterium dabei ist die Kompaktheit der wichtigsten Traubensorten. Die größte Gefahr droht in der Regel bei kompakten Trauben, was eher für den frühen Termin spricht. Wird in der Blütephase kein Spezialbotrytizid eingesetzt, so können die Nebenwirkungen der Peronospora- und Oidiumfungizide zur Schließung der Lücke einen wesentlichen Beitrag leisten.

 

Zusammenfassung

 

Botrytis tritt augenscheinlich zwar erst sehr spät auf, entscheidende Vorgänge für das Infektionsgeschehen laufen jedoch bereits in der Phase Blüte bis Traubenschluss (latente Infektionen, Entwicklung der Beerengröße/Kompaktheit der Trauben). Der Erreger kann auf zwei Wegen angreifen:

Von latenten Infektionen ausgehend, die während und nach der Blüte entstanden sind. Dieser Weg ist besonders typisch für hartschalige, kompakte Trauben (Schwarzriesling-Typ).

Direkt über die Oberfläche der reifenden Beere. Dieser Weg ist besonders häufig bei weichschaligen, lockerbeerigen Sorten (Müller-Thurgau-Typ).

Beim Schwarzriesling-Typ richten sich die Maßnahmen speziell gegen die Kompaktheit und gegen latente Infektionen. Fungizidanwendungen im Zeitraum Blüte bis kurz vor Traubenschluss bringen deutliche Vorteile. Beim Müller-Thurgau-Typ kann der Botrytisbefall auch durch späte Anwendungen reduziert werden. Da sich in diesem Fall oft andere Mikroorganismen verstärkt ausbreiten, ist ein Qualitätsvorteil in diesem Fall oft nicht erreichbar.

 

 Abbildung 1:  Ergebnisse eines Botrytisversuchs bei der Rebsorte Schwarzriesling, entspricht den langjährigen Erfahrungen


Abbildung 3:  Kleine Risse in der Beerenschale mit Saftaustritt am frühen Morgen ‑ ideal für die Ansiedelung von Mikroorganismen




Abbildung 7:  Infiziertes Blütenkäppchen und sichtbare Abwehrmaßnahmen (Verkorkung) der grünen Beeren


 Abbildung 8:  Botrytisbefall vom Beerenansatz ausgehend


Abbildung 9:  Für Qualitätsproduktion optimierter Schwarzrieslingbestand ‑ aber zu kompakte Trauben


 Abbildung 10:  Folgen der Kompaktheit: Fäulnis „von Innen“ (Traubenmitte/Beerenansatz) ausgehend

 

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