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Erfahrungen mit der Standortumveredelung in Württemberg

R. Fox, W.K. Kast und W.Gebert
LVWO Weinsberg
E-Mail:
rudolf.fox@lvwo.bwl.de

Die rückläufige Nachfrage bei Weißwein verbunden mit vergleichsweise geringen Preisen einerseits sowie der Rotweinboom bei wesentlich höheren Preisen andererseits führt nicht nur zu völlig verändertem Anpflanzverhalten, sondern auch zu Überlegungen bezüglich vorzeitiger Sortenumstellung. Gerade dies kann wirtschaftlich hochinteressant sein, wenn z. B. frühzeitig auf Nachfragetrends reagiert werden kann. Hier bietet sich die Standortveredlung in jüngeren Anlagen mit noch intaktem Drahtrahmen geradezu an. Tabelle 1 zeigt auf, welche Anlagen sich besonders eignen.

Tabelle 1: Welche Anlagen eignen sich?

  Mittlere bis gute Lagen

  Bestände bis etwa 15 Jahre

  Intakter Drahtrahmen

  Zeitgemäße Zeilenbreiten

  Schlecht absetzbare Sorten

Die Vermarktungsregelung, die bei der Umveredelung praktisch kein Einkommensausfall, selbst im Umstellungsjahr, zur Folge hat, macht das Verfahren, zumindest vordergründig, wirtschaftlich hoch interessant. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass bereits 1996 und 1997 erste Veredlungen nach dem Chip-Budding-Verfahren, also dem Okkulationsverfahren, bei dem Ein-Augen-Chips in einen T-Schnitt in die Rinde des Rebstammes etwa auf halber Höhe eingesetzt werden, durchgeführt wurden.

Dieses Verfahren wurde weitgehend durch „Arbeitskolonnen" aus südlichen Ländern (speziell Südfrankreich) durchgeführt. Die Anwuchserfolge unter unseren Klimabedingungen waren jedoch je nach Sorte, Jahr und Standort recht unterschiedlich und befriedigten - im Gegensatz zu südlichen Regionen wie Spanien oder Portugal, wo vielfach erst die Unterlage gepflanzt und im Folgejahr oder gar dem zweiten Jahr veredelt wird - nicht. Bei Umveredelungen nach diesem Verfahren in unserem Versuchsbetrieb Gundelsheim war der Erfolg im klimatisch günstigen Jahr 1997 gut und es konnte im Folgejahr bei etwa 80 % der Stöcke bereits ein Bogen angeschnitten werden. Auf anderen Standorten sowie Jahren war die Anwuchsrate teils wesentlich bescheidener. Als Nachteil dieser Methode muss die relativ schlechte, mechanische Stabilität hervorgehoben werden, die bei Belastungen - auch noch nach mehreren Jahren - gerne zum Herausbrechen der Veredlungen führen kann. Aus heutiger Sicht kann festgestellt werden, dass das Chip-Budding-Verfahren trotz Klimaänderung, d. h. höheren durchschnittlichen Temperaturen während der Vegetationszeit, derzeit bei uns eher nicht geeignet ist. Auch organisatorische Probleme sowie Verständigungsschwierigkeiten, was die Sprache anging, haben zur Einstellung des Verfahrens in Deutschland beigetragen.

Holz auf Grün scheint interessant

Anders sieht es aus mit der von S p i t a l e r (1) entwickelten Veredlung von Holz auf Grün. Hierbei werden die Stöcke im Winter auf ca. 2/3 des Stammes zurückgeschnitten, um den Austrieb von Wasserschossen aus dem Bereich des Veredlungskopfes zu fördern. In jüngeren Anlagen und Sorten mit allgemein stärkerer Wasserschossbildung gelingt dies auch recht gut. Bei schlecht aus dem alten Holz austreibenden Sorten wie Kerner war nach eigenen Erfahrungen dagegen der Austrieb nur mangelhaft und die Ausfallquote an Trieben durch Abbrechen beim Anbinden recht groß. Daneben muss je nach Alter, Sorte und Vitalität der Bestände damit gerechnet werden, dass ein gewisser Anteil an Stöcken nicht austreibt oder keine veredlungsfähigen Triebe entwickelt. Als vorteilhaft im Hinblick auf einen geringeren Befallsdruck durch Schwarzfleckenkrankheit hat es sich als günstig erwiesen, wenn der Stamm auf ca. 2/3 seiner Länge eingekürzt wird.

Um eine ausreichende Vitalität der Anlage und damit kräftige Wasserschosse sowie auch nach der Umveredlung nachhaltige Wuchsverhältnisse zu erlangen, wird empfohlen, mindestens jede 2. Gasse oder gar jede Gasse umzubrechen und den Boden offen zu halten. Im Stockstreifen ist durch rechtzeitige mechanische Bearbeitung oder besser Ausbringung von Herbiziden mit Dauerwirkung noch vor Austrieb der Wasserschosse für anhaltende Bewuchsfreiheit zu sorgen.

Am Stamm selbst werden ca. 3 - 4 Wasserschosse, möglichst ausgehend vom Veredlungskopf unmittelbar über dem Boden, aufgebunden und gegebenenfalls etwas ausgegeizt. Alle restlichen Triebe - dies können je nach Sorte recht viele sein - müssen bis zum Veredlungstermin und noch danach ständig ausgebrochen werden. Allein diese Arbeiten erfordern einen beträchtlichen Zeitaufwand, der noch über dem Zeitbedarf für die Laubarbeiten in einer 2-jährigen Junganlage liegen dürfte. Je nach Sorte ist mit einem Aufwand von 20 - 30  Std./ha zu rechnen.

Vor der Veredlung, ca. um die Rebblüte, werden die bereits leicht verholzten Wasserschosse auf etwa 50 cm zurückgeschnitten und bis auf das unterste Blatt entblättert sowie gegebenenfalls ausgegeizt. Die Verholzung der Triebe sollte noch nicht zu stark sein bzw. das Mark noch glasig erscheinen. Mittels englischem Kopulationsschnitt mit Gegenzunge werden dann die im Kühlhaus gelagerten und zuvor über Nacht eingeweichten Edelreiser aufgepfropft.

Auf Gewinnung und Vorbereitung der Edelreiser soll in diesem Zusammenhang nicht weiter eingegangen werden. Angemerkt muss hierzu jedoch werden, dass auch hier die Reiser vor der winterlichen Frostperiode geschnitten werden sollten. Wo dies im Winter 2001/2002 erst nach den starken Frösten mit bis unter -20°C erfolgte, war später ein extrem schlechtes Austriebsergebnis zu beobachten.

Die lange Lagerung der Edelreiser erfordert noch mehr Aufmerksamkeit gegenüber Botrytisbefall einerseits und Trocknungsschäden andererseits. Wenn Edelreiser aus den eigenen Flächen verwendet werden, ist eine amtliche Anerkennung nicht nötig. Dass nur von gesunden, d. h. virusfreien, Stöcken Reiser gewonnen werden sollten, versteht sich hierbei von selbst, könnte jedoch in der Praxis ein Schwachpunkt sein. Werden geschützte Sorten oder Klone vermehrt, sind, wie bei der Pfropfrebenproduktion auch, Züchtergebühren zu entrichten und bei nicht klassifizierten Sorten sogar ein Anbauvertrag mit dem Züchter abzuschließen und von amtlicher Seite vorher die Versuchsgenehmigung einzuholen.

Wie am Bild (Abb. 1) ersichtlich, wird durch das in Weinsberg modifizierte Verfahren - G e b e r t (2)- die mechanische Festigkeit durch die Gegenzunge, aber auch das Umwickeln mit den selbstklebenden, elastischen Kunststoffbändern auf Polyether-Urethan-Basis sichergestellt und gleichzeitig die Veredlungsstelle vor Austrocknung geschützt. Das Edelreisende wird zum Schutz vor Austrocknung mit Veredlungswachs bestrichen. Für die Veredlung selbst ist naturgemäß eine gute Fertigkeit, Gefühl für die richtige Reißstärke und Schnittführung erforderlich. Da die Veredlung eines grünen Triebes wesentlich schwieriger ist als Holz auf Holz, ist das Verfahren nur für geübte Handveredler praktikabel. Zur Sicherheit werden in der Regel zwei Triebe mit je zweiäugigen Edelreisern bestückt.

Abbildung 1: Frische Veredlungsstelle mit basalem Blatt an Wasserschoss



Ca. 2 - 3 Wochen nach der Veredelung - also etwa Anfang bis 10. Juli - erfolgt der Austrieb. Naturgemäß auch der am grünen, neuen "Stamm" befindlichen Winteraugen. Nun muss bis etwa Mitte September angebunden, ausgebrochen und intensiver Pflanzenschutz betrieben werden. Gesundes Laub ist für gute Holzreife unbedingte Voraussetzung. Nachdem gerade in der Hauptwachstumsphase im August und September oft auch der Peronospora-Infektionsdruck steigt, ist hier hohe Aufmerksamkeit und konsequenter Pflanzenschutz angesagt Wegen des anhaltend starken Wachstums ist deshalb teils wöchentlich eine Peronospora-Spritzung notwendig. In den Jahren 2001 und insbesondere 2002 konnte der Peronosporabefall trotz intensiver Pflanzenschutzmaßnahmen vielfach nicht ausreichend eingedämmt werden. Dies minderte die Holzreife und die sowieso nur geringe Winterfrostfestigkeit.

Entspitzen zum geeigneten Zeitpunkt (ca. 10. Sept.) sowie Zugabe geringer Kupfermengen können den Wachstumsabschluss und damit die Holzreife fördern. Um ausreichende Triebstärken und ausgereifte Trieblängen zu erzielen, kann es sinnvoll sein, auf 2 Triebe einzustellen, d. h. eine der beiden Veredlungen nach erfolgtem Austrieb abzuschneiden, oder den jeweils schwächeren von beiden zu entfernen (Abb. 2).

Abbildung 2: Zwei austreibende 2-äugige Edelreiser, Veredlungsstelle



Die Erfahrungen aus den witterungsmässig recht unterschiedlichen Jahren 1999 bis 2002 bezüglich Anwuchsraten waren insgesamt gut bis sehr gut. Besonders die recht ungünstigen Witterungsbedingungen unmittelbar nach der Umveredlung im Jahr 2000 können als Testfall herangezogen werden, d. h., die eigentliche Verwachsung gelingt in der Regel. Ähnliche Erfahrungen liegen von Zipse, Trier, - berichtet von Schlemmer, G.(3) - vor, der unter den günstigen Bedingungen des Jahres 1999 auf 77 bis 90 % Anwuchsrate kam.

Mit Ausnahme des Winters 2001 auf 2002 mit Minustemperaturen von 15 bis über 20°C traten im weiteren Verlauf kaum Ausfälle auf und es konnte im jeweiligen Folgejahr schon ein kurzer Bogen angeschnitten werden. Die Erträge lagen bereits bei etwa 50 -70% eines Normalertrages. Abb. 3 zeigt eine im Vorjahr gut gewachsene Veredlung bei der schon ein Bogen angeschnitten werden konnte.

Abbildung 3: Zwei gut gewachsene Triebe im Folgejahr oder Herbst


Holzreife und Winterfrostfestigkeit sind entscheidend

Die starken Fröste im Dezember und Januar des Winters 2001/2002 verursachten, u. a. noch verstärkt durch die ungünstige Spätherbstwitterung und mangelnde Holzreife, starke Knospenschäden sowie teils auch Holzschäden. So ergab die Austriebsbonitur am 16. Mai 2002 folgendes Ergebnis (siehe Tab. 2): Angemerkt werden muss dabei, dass es in fast allen Fällen nicht aufgrund schlechter Kallusbildung und Verwachsung zu den Ausfällen kam, sondern eben durch frostbedingte Knospen- und Holzschäden. Vorzeitiges Entfernen der Veredlungen sollte jedoch vermieden werden, da noch bis ca. Ende Mai und zum Teil noch später an der Triebbasis Augen, vermutlich Beiaugen, austreiben. Teils sind jedoch im Jahr 2002 im weiteren Verlauf bereits ausgetriebene Veredlungen abgestorben. Dies ist wahrscheinlich die Folge der starken Winterfröste. Die Erfahrungen mit Nachveredlungen auf im Folgejahr nochmals austreibende Wasserschosse zeigten eine deutlich geringere Erfolgsquote.

Tabelle 2: Austriebsbonitur 16. Mai 2002 nach Umveredlung Gundelsheim (19. - 21.06.2001) von Silcher auf Chardonnay

 

Anzahl der Stöcke

%

Austrieb

187

22,64

Ohne Austrieb

525

63,56

Vorjahr nicht veredelungsfähig

51

6,17

Nach Veredelung nicht ausgetrieben

63

7,63

Gesamt

826

100


Probleme/Fragen - Vorteile, Kosten - Nutzen

Wie aus Tab. 3 hervorgeht, bestehen aufgrund der noch kurzen Erprobungsphase noch viele offene Fragen. Als besonderes "Problem" muss die Witterung während des Spätsommers und Herbstes, also zur Hauptwachstumsphase, der jungen Veredlungen sowie die daraus folgende, mehr oder weniger gute, Holzreife und Winterfrostfestigkeit angesehen werden. Dies dürfte der eigentliche Knackpunkt für die Wirtschaftlichkeit sein. Die aufgezeigten Vorteile lassen das Verfahren trotz der Risiken interessant erscheinen.

Tabelle 3: Standortumveredelung

Probleme/Fragen

Vorteile

Jahrgangswitterung/Herbst ---> Holzreife, Frostfestigkeit

Rasche Anpassung an den Markt, Trendsorten (Dornfelder, Acolon, Weißburgunder) und damit höhere Erlöse

Durchgängig hoher Pflegeaufwand über die gesamte Vegetationsperiode

Rascher Vollertrag und kein Ausfall der Vermarktungsmenge

Ausfallrisiko, Nachpflanzung erforderlich, erschwerte Bewirtschaftung

Drahtrahmen bleibt, kann weiter abgeschrieben werden

Risiko besonders hohen Ausfalls, wenn später gerodet werden muss

kostengünstiger

Hangfusslagen besonders hohes Risiko (Winterfrost)

Bessere Qualität als bei Neupflanzung, da "Altanlage"

Sortenverträglichkeit?

Die vereinfachte Kosten-Nutzen-Rechnung in Tab. 4 zeigt ihrerseits auf, dass den Risiken erhebliche wirtschaftliche Vorteile gegenüber stehen können.

Tabelle 4: Kosten - Nutzen

Standortveredelung

Kosten je Stock 1,50 Euro samt Edelreis

ca.

6.000 Euro

Pflege im Umstellungsjahr

ca.

+ 6.000 Euro

Ertragsausfall* im Umstellungsjahr

ca.

+ 13.000 Euro

Ertragsausfall* im Folgejahr

ca.

+ 6.000 Euro

Gesamt

ca.

31.000 Euro

 

Neuanpflanzung

Erstellung und Pflege

ca.

20.000 Euro

Ertragsausfall

ca.

+ 26.000 Euro

Gesamt

ca.

46.000 Euro

* Kann der Ertragsausfall bei Umveredelung durch Übermengen ausgeglichen werden, ist das Verfahren wirtschaftlich noch interessanter.

Fazit:

Das Verfahren erfordert viel Geschick. Die Verwachsung selbst ist nach bisherigen Erfahrungen auch bei weniger günstiger Witterung kein Schwachpunkt. Eher ist dies bei der Holzreife sowie der Frostfestigkeit der Fall. Wirtschaftlich ergeben sich dann Vorteile, wenn tatsächlich im Folgejahr bereits ein Ertrag bei der neuen, marktkonformen Sorte erzielt werden kann. Das Verfahren birgt jedoch auch erhebliche Risiken, weshalb es in der Praxis nur in besonders gut geeigneten Parzellen, hinsichtlich Klimagunst Alter, Zeilenbreite, Sorte usw. ratsam erscheint.

Literatur:

(1) Spitaler, E. et al (1998): Verholztes Edelreis auf grünen Trieb: Anwuchsraten bis zu 100 %. Der Deutsche Weinbau, Heft 21, 
     20 - 21
(2) Gebert, W. et al (2001):Erfahrungen mit der Standort- Grünveredlung. Rebe und Wein Heft 3, 28 - 30
(3) Schlemmer, G. (2000): Weinbautage Mosel-Saar-Ruwer. Die interessantesten Fachbeiträge (Standortgrünveredlungen,
     Zipse). Der Deutsche Weinbau, Heft 4, 26 - 29.

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