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Untersuchungen zur Befalls-Verlust-Relation und Bekämpfungsschwelle bei der Obstbaumspinnmilbe ( Panonychus ulmi KOCH ) an Reben

Beziehung zwischen Milbenbesatz im August und dem Zuckergehalt der Trauben

Von Dr. Walter K. Kast
E-Mail: Walter.Kast@lvwo.bwl.de


Einleitung

Die Obstbaumspinnmilbe verursacht im Weinbau wirtschaftliche Verluste vor allem in der Reifephase. Die Schädigungen reichen von einem Abbau von Zellorganellen und einem verminderten Chlorophyllgehalt (SCHROPP et al. 1982) bis zur vollständigen Zerstörung von Zellen sowohl der Epidermis als auch bei den Zellen des Schwamm- und Palisadenparenchyms (RILLING und DÜRING 1990). Makroskopisch äußert sich der Befall durch Blattverfärbung ("Bronzierung"). Stomatäre Leitfähigkeit und Photosynthese sind reduziert (RILLING und DÜRING 1990).

Über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Spinnmilbenbefalls lagen zunächst nur Ergebnisse von Extremfällen vor, in denen bereits erhebliche Verluste eingetreten waren (z. B. EICHHORN et al. 1981, SCHROPP et al. 1982). Geringere Schäden können mit den üblichen Wiederholungszahlen nicht festgestellt werden, da diese durch zufällige Einflüsse (Fehlervarianz) überdeckt werden. Für die Angabe exakter Schadens- oder Bekämpfungsschwellen fehlte bisher die erforderliche Abschätzung der Befalls-Verlust-Relation bei Panonychus ulmi. Ein Vorschlag von ENGLERT (1978) für die Bekämpfungsschwelle im Spätsommer von 2 Milben pro Blatt wurde weitgehend in der Praxis per Konsens akzeptiert. Physiologische Untersuchungen von GANDOLFI und BOLLER (1991) legen jedoch nahe, dass diese Werte zu niedrig sein könnten, weil Reben geringe Schäden an den Blättern recht gut kompensieren können. Ziel dieser Untersuchungen war es, eine möglichst exakte Relation zwischen dem Spinnmilbenbefall und dem Schaden durch verringerten Zuckergehalt (Öchslegrade), einem wichtigen Qualitätskriterium, zu ermitteln.

Material und Methoden

In den Jahren 1986, 1987 und 1988 wurden in zwei Rebanlagen in Talheim und Weinsberg (beide Kreis Heilbronn) Versuche bei den Rebsorten Riesling und Schwarzriesling (Müllerrebe) angelegt. Beide Rebsorten sind besonders anfällig für Spinnmilbenbefall (KAST und CHRIST 1984). Zur Erzeugung künstlicher Variationen im Spinnmilbenbesatz wurden neben einer völlig unbehandelten Kontrolle in einer Variante die vorhandenen Raubmilben (Typhlodromus pyri SCHEUTEN) durch den Einsatz des Insektizids Decis (Deltamethrin) ausgeschaltet. In einer dritten Variante wurde der Spinnmilbenbesatz durch den Einsatz des Akarizids Shell Torque (Fenbutatin-Oxid) zeitweise unter das natürliche Niveau gedrückt. In einer vierten Variante wurden die Raubmilben vernichtet und Ende Juni eine Spinnmilbenbekämpfung mit Shell Torque. durchgeführt. Der Wegfall der natürlichen Begrenzungsfaktoren sollte nach Abfall der Wirkung des Akarizids eine schnelle Spinnmilbenvermehrung provozieren. Der Einsatz des Akarizids und des Insektizids erfolgte zusätzlich zur betriebsüblichen, raubmilbenschonenden Spritzfolge. Beim Einsatz des Insektizids Decis wurde darauf geachtet, dass eine Wirkung auf den Traubenwickler aufgrund des Einsatztermins ausgeschlossen werden kann. In jedem Jahr wurden die Versuche neu randomisiert, so dass ab dem 2. Jahr auch eine sehr starke Variation im Ausgangsbesatz mit Spinn- und Raubmilben vorhanden war.

Die vier o. a. Varianten wurden in den einzelnen Versuchen 10- bzw. 16fach wiederholt. Jede Parzelle enthielt 12 Rebstöcke. Insgesamt wurden Daten von 304 Einzelparzellen ausgewertet und verrechnet. Festgestellt wurde der Besatz mit Spinn- und Raubmilben an 4 Terminen (jeweils Ende der Monate Mai, Juni, Juli, August). Der Milbenbesatz wurde mit der Waschmethode in Anlehnung an HILL und SCHLAMP (1984) ermittelt. Bei der Ernte wurde das Mostgewicht in ° Oechsle über eine 100-Beeren-Probe und der Ertrag der Parzelle festgestellt. Im November wurde die Zahl der abgelegten Wintereier ermittelt durch Auszählen von 48 Knoten je Parzelle unter dem Binokular.

Die statistischen Kenngrößen wurden mit dem Programm "Plabstat", (UTZ 1987) berechnet. Um eine gemeinsame Verrechnung der Versuchsdaten der einzelnen Versuche zu ermöglichen, wurden die Erträge und Mostgewichte der Parzellen jeweils in % des Mittels der jeweiligen Kontrollparzellen des betreffenden Versuchs umgerechnet.

Ergebnisse

In den "raubmilbenfreien", mit Decis behandelten Varianten traten im Mai bis zu 22 Spinnmilben pro Blatt auf. Ende Juni und Ende Juli wurden dagegen maximal 8 bzw. 10 Tiere pro Blatt festgestellt. Ende August dagegen wurden in diesen Varianten bis zu 57 Milben pro Blatt gefunden. In den Varianten, in denen die Raubmilben nicht beseitigt wurden, war der Spinn- und Raubmilbenbesatz zu Saisonbeginn ab 1987 extrem unterschiedlich, in Abhängigkeit davon, welche Variante im Vorjahr auf der betreffenden Parzelle angelegt war. Trotz dieser extremen Unterschiede wurden auf den Parzellen "mit Raubmilben", d. h. Parzellen, in denen die Raubmilben im Versuchsjahr nicht beseitigt wurden, im August in keinem Fall über 8 Spinnmilben pro Blatt gefunden.

Hinsichtlich der Ertragsmenge wurden in dem Versuch keinerlei Unterschiede zwischen den verschiedenen Varianten und keine signifikanten Beziehungen zum Milbenbesatz festgestellt. Die Mostgewichte (Zuckergehalte) der raubmilbenfreien Varianten waren gegenüber den Varianten mit Raubmilben signifikant verringert. Die Differenz war allerdings sehr gering (ca. 1,6° Oechsle im Gesamtdurchschnitt).

Zwischen dem Milbenbesatz Ende der Monate Mai, Juni und Juli wurden keinerlei Beziehungen zum Mostgewicht festgestellt. Die Bestimmtheitsmaße liegen bei Null (Tabelle 1). Zwischen dem Milbenbesatz Ende August und dem Mostgewicht dagegen besteht eine signifikante Beziehung. Allerdings ist auch hier das Bestimmtheitsmaß gering. Eine wesentlich klarere Beziehung besteht zwischen der Wintereiablage und dem Mostgewicht (Näheres siehe KAST 1988).

 

Tabelle 1 :Multiple Bestimmtheitsmaße zwischen dem Milbenbesatz und dem Mostgewicht

Messgröße

Termin

Wertepaar

ermittelter Bereich

Bestimmtheitsmaß in %

P. ulmi je Blatt

Ende Mai

304

0 - 22

0,0 n.s. §

P. ulmi je Blatt

Ende Juni

304

0 - 8

0,0 n.s.

P. ulmi je Blatt

Ende Juli

304

0 - 10

0,1 n.s.

P. ulmi je Blatt

Ende August

242

0 - 57

2,7*

Wintereier je Knoten

Herbst

304

0 - 287

9,0**

n.s. § = nicht signifikant
*signifikant P = 0,05
**signifikant P = 0,01


Mit Hilfe der Regressionsrechnung wurde die folgende Funktion berechnet:

y = 100,5 - 0,04112 x - 0,00063 x 2

±S = 0,2      0,05500       0,00154


y = Mostgewicht (% des Durchschnitts der Kontrollen)

x = Anzahl P. ulmi je Blatt Ende August

±S = Standardabweichung

Die errechnete Funktion fällt mit zunehmender Milbenzahl steiler ab (Abb. 1). Wird die Regression aus den Daten einzelner Jahre berechnet, ist sie wegen der geringeren Zahl der Freiheitsgrade nicht signifikant.

 

Abbildung 1: Beziehung zwischen dem Besatz durch Panonychus ulmi im August
und dem Zuckergehalt des Traubenmostes (° Oechsle) bei der Ernte

 

Diskussion

Wie bereits beim Einbindigen Traubenwickler von KAST und MUNDER (1990) festgestellt wurde, ist der wirtschaftliche Schaden durch Schädlingsbefall im Einzelfall in der Regel nicht abschätzbar. Andere Einflussfaktoren, die mit dem Befall auch korreliert sein können, erschweren die Zuordnung der Ertrags- und Qualitätsunterschiede. Durch die hohe zufallsbedingte Variabilität der Ertragsmerkmale bei Reben sind die oft relativ geringen, aber wirtschaftlich trotzdem interessanten Unterschiede nur bei sehr großer Wiederholungszahl signifikant. Der wahrscheinlich zu erwartende Schaden lässt sich jedoch, wie im vorliegenden Fall gesehen, bei ausreichender Datenmenge abschätzen. Im Einzelfall können durchaus erhebliche Abweichungen vorkommen. Die relativ hohen Standardabweichungen der Regressionsschätzwerte sind sicher teilweise durch die vielfältigen Einflüsse auf Ertrag und Qualität bedingt. Nicht auszuschließen ist jedoch auch, dass der Einfluss des Spinnmilbenbesatzes auf den Zuckergehalt unter verschiedenen Bedingungen, z. B. von Jahr zu Jahr, variiert. Dass die Berechnung der Korrelationen aus den Daten einzelner Jahre nicht signifikante, aus den Daten einzelner Jahre zusammen aber signifikante Werte lieferte, deutet aber darauf hin, dass systematische Unterschiede relativ gering sein dürften.

Die nicht vorhandene Beziehung zwischen dem Milbenbesatz bis Ende Juli und dem Zuckergehalt belegt, dass eine Anwendung von Bekämpfungsschwellen ohne Berücksichtigung weiterer Faktoren völlig sinnlos ist. Ein offensichtlich sehr entscheidender Faktor ist das Vorhandensein von Nützlingen, z. B. Typhlodromus pyri.

Unter den Annahmen von Tabelle 2 ist die Schadensschwelle bereits erreicht, wenn ein Verminderung des Mostgewichts von nur 0,2°  Öchslegraden auftritt, da die Kosten der Bekämpfung in Relation zum Erlös relativ gering sind und die Qualität, gemessen als Zuckergehalt (Öchslegrade) relativ hoch bewertet wird. Die Abstufung von 5 % je 1°  Oechsle entspricht dem zur Zeit vielfach von Weingärtnergenossenschaften im Anbaugebiet Württemberg praktizierten Verfahren. Einem Rückgang des Mostgewichts um 0,2°  Oechsle (bei 75° = 0,27 %) entspricht Ende August ein Spinnmilbenbefall von 6,5 Milben pro Blatt.

 

Tabelle 2: Annahmen für die Berechnung der Schadensschwelle

1.

Befalls-Verlust-Relation

-0,041 x -0,00063 x 2

2.

Wert des Ertrages

€ 10.000,--

3.

Wirkungsgrad des Akarizids

100 %

4.

Kosten des Akarizideinsatzes (bei Ausbringung mit Fungizidspritzung)

€ 100,--

5.

1°Oechsle Differenz

5 % geringerer Erlös

 

Die Schadensschwelle von ca. 7 Milben pro Blatt Ende August liegt weit über dem bisher akzeptierten Wert von 2 Tieren im Spätsommer (ENGLERT 1978). Von GANDOLFI et al. (1990) wurden noch höhere Toleranzwerte bis 45 Milben/Blatt aus Laborversuchen zur Photosyntheseleistung abgeleitet. Es ist allerdings fraglich, ob die geringen Leistungsunterschiede, die für den Abfall von nur 0,2°  Oechsle verantwortlich sind, überhaupt nachweisbar sind. Wie bereits bei KAST und MUNDER (1990) festgestellt, liegt in vielen Fällen die Schadensschwelle im Weinbau wegen des hohen Ertragswertes und der geringen Bekämpfungskosten in einem Bereich, in dem keine signifikanten Unterschiede gefunden werden.

Die oben genannte Grenze von 7 Milben/Blatt wurde in allen Parzellen, in denen die Raubmilben nicht unmittelbar im Versuchsjahr gezielt vernichtet wurden, nicht oder nur sehr geringfügig überschritten. Zur Berechnung der Befalls-Verlust-Relation haben im Wesentlichen die Parzellen beigetragen, in denen die Raubmilben gezielt ausgeschaltet wurden. Unter Berücksichtigung der hohen Toleranz der Rebe dürfte es in der Praxis generell nur dann zu wirtschaftlichen Schäden durch geringeren Zuckergehalt der Trauben kommen, wenn keine Raubmilben vorhanden sind oder die Raubmilben in der entscheidenden Phase im August, z. B. durch eine raubmilbenschädigende Traubenwicklerbekämpfungsmaßnahme, unterdrückt werden. Die Anwendung des Schadschwellenprinzips wäre nur in diesen Fällen sinnvoll. Da in einem integrierten System grundsätzlich Raubmilben geschont werden, ist die Anwendung des Schadschwellenprinzips dort im Sommer überflüssig. Wichtiger wäre eine Kontrolle des Raubmilbenbesatzes. Möglicherweise kann jedoch trotz eines ausreichenden Raubmilbenbesatzes eine erhöhte Wintereiablage auftreten, die gegebenenfalls zu beachten ist (siehe KAST 1988). Getrennt betrachtet werden muss auch die im Sommer teilweise auf Reben überwandernde Art Tetranychus urticae, da diese größere Schäden verursacht (GANDOLFI und BOLLER 1991).

 

 

Rote Spinnmilbe (weiblich)

 

Raumilbe beim Aussaugen einer
Spinnmilbe mit rotem Darminhalt;
rechts eine noch hungrige Raubmilbe

 

 

 

 

Wintereier der Roten Spinne

 

Bronzefarbene Blätter, ein Symptom
stärkeren Spinnmilbenbefalls

 
Literatur

Eichhorn, K. W.; Grün, F.; Ipach, R. (1981): Spinnmilben im Weinbau und ihr Einfluss auf die Qualität. Der Deutsche Weinbau 36 , 263-266.

Englert, W. D. (1978): Probleme bei der Spinnmilbenbekämpfung im Weinbau. Deutsches Weinbaujahrbuch 29 , 173-176.

Gandolfi, M. P.; Boller, E.(1991): Different responses of gas exchange parameters of grapevine to Panonychus ulmi and Tetranychus urticae injury. In: OILB/SROP, Groupe du travail "Lutte intégrée en viticulture", Tagungsabstracts Conegliano (Italia), 26.-28.2.1991.

Gandolfi, M. P.; Boller, E.; Viret, O.; Wermelinger, B. (1990): Influence of arthropod pests on the photosynthesis of Vitis vinifera. Bull. OILB/SROP 1990/XIII/7, 105-106.

Kast, W. K. (1988): Untersuchungen zur Befalls-Verlust-Relation und Bekämpfungsschwelle bei der Obstbaumspinnmilbe (Panonychus ulmi KOCH) an Reben. I. Vorläufige Ergebnisse der Jahre 1986 und 1987. Deutsches Weinbaujahrbuch 40 , 199-209.

Kast, W. K.; Munder, H. (1990): Untersuchungen zur Befalls-Verlust-Relation und wirtschaftlichen Schadensschwelle beim Einbindigen Traubenwickler (Eupoecilia ambiguella Hbn.). Zeitschr. Pflanzenkr. Pflanzensch. 97  (1), 76-83.

Rilling, G.; Düring, H. (1990): Structure and function of grapevine leaves (Vitis vinifera L.) as affected by the European red mite (Panonychus ulmi KOCH). Vitis 29 , 27-42.

Schropp, A.; Eichhorn, K. W.; Ipach, R. (1982): Qualitätsminderung durch Spinnmilbenbefall. Dt. Weinbaujahrbuch 33 , 145-155.

Utz, H. F. (1987): Plabstat, a computer program for statistical analysis of plant breeding experiments. Institut f. Pflanzenzüchtung, Saatgutforschung und Populationsgenetik, Universität Hohenheim.

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